Arbeiterwohlfahrt Frankfurt: erste Schritte zur nachhaltigen Sanierung

Petra Rossbrey, Vorsitzende des ehrenamtlichen Präsidiums der Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Frankfurt, berichtet in diesem Gastbeitrag über die notwendigen Schritte zur nachhaltigen Erneuerung des krisengeschüttelten Sozialverbands. Sie zeigt dabei auf, welche Strukturen zur Krise geführt haben und welche Change Prozesse nötig waren und sind, um das öffentliche Vertrauen wiederzuerlangen.

von Petra Rossbrey, September 2020

Viele haben sie in der Presse verfolgt: die Krise der Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt. Top–Führungskräfte haben sich mit überhöhten Gehältern, überdimensionierten Dienstwagen und weiteren Annehmlichkeiten in einer Weise bereichert, wie es mit dem Selbstverständnis eines Sozialverbandes in keiner Weise vereinbar ist. Die Betroffenheit ist groß: Auf der einen Seite können sich viele nicht erklären, wie es ausgerechnet in einem gemeinnützigen Verband zu solchen Vorkommnissen kommen konnte, auf der anderen Seite sehen sich viele in der Annahme bestätigt, dass mit öffentlichen Geldern nicht sorgsam genug umgegangen wird.

Das öffentliche Interesse ist verständlich und richtig. Die Arbeiterwohlfahrt ist wie die anderen großen Sozialverbände ein wichtiger Bestandteil des Systems der sozialen Sicherheit. Die staatlichen Stellen und die Öffentlichkeit müssen die Gewissheit und das Vertrauen haben, dass diese Gelder entsprechend ihrer Bestimmung verwandt werden.

Dieses Vertrauen ist im Hinblick auf die Arbeiterwohlfahrt Frankfurt verloren gegangen, das hat für den Verband gravierende Folgen. Die Stadt Frankfurt hat Gelder für soziale Leistungen (zum Beispiel in der Kinderbetreuung) zurückbehalten. Sie wollte Druck auf die Aufklärung ausüben, aber auch sichergehen, eventuelle Rückforderungen realisieren zu können. Die Spendenbereitschaft ist messbar zurückgegangen, viele Menschen sind irritiert und wollen sichergehen, dass ihre Spenden auch an der richtigen Stelle ankommen und nicht für überhöhte Gehälter und teure Autos verwendet werden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch die vielen ehrenamtlichen Helfer sind massiv verunsichert und wissen selbst nicht, was sie von dem Verband halten sollen, in den sie so viel Engagement und Herzblut investiert haben.

Um die nachhaltige Erneuerung sicherzustellen, hat sich die Arbeiterwohlfahrt eine völlig neue Führung gegeben: Neben einem neuen ehrenamtlichen Präsidium wurden neue hauptamtliche Vorstände berufen, um auch nach außen hin den Neuanfang deutlich zu machen. Die neue Führung sah sich vor der Aufgabe aufzuklären, um so Vertrauen wiederherzustellen und gleichzeitig die finanzielle Schieflage des Verbandes zu beseitigen. Beides muss parallel geschehen, wenn die Sanierung nicht nur ein kurzes Strohfeuer sein, sondern eine wirklich nachhaltige Veränderung bewirken soll.

Die Selbstbereicherung der Führungskräfte war vor allem möglich, weil es an einer wirksamen und effektiven Kontrolle fehlte. Dieses Phänomen kennen wir aus vielen Unternehmen: Die Aufdeckung massiver Korruptionsfälle hat dazu geführt, dass die meisten Unternehmen ein engmaschiges Netz von Compliance–Regeln und deren Kontrolle aufgebaut haben. In einem Sozialverband wie der Arbeiterwohlfahrt hat das Fehlen wirksamer Kontrollmechanismen allerdings noch weitere Gründe.

Die derzeitige Organisation begünstigt diese Entwicklung. Die Arbeiterwohlfahrt ist ein eingetragener Verein und unterliegt anderen Regelungen als ein herkömmliches Unternehmen. Der gravierendste Unterschied ist sicher, dass die Kontrollgremien durch die Mitglieder des Vereins bestimmt werden. Das ist auf der einen Seite ein wichtiger Mechanismus: die Mitglieder des Vereins, die einen wesentlichen Teil der ehrenamtlichen Arbeit leisten, müssen in der Führung repräsentiert werden und sich vertreten fühlen.

Die Arbeiterwohlfahrt hat sich auf der anderen Seite gravierend gewandelt: Aus einer Selbsthilfeorganisation, die das Leid armer Menschen aus der Arbeiterklasse lindern wollte, ist ein Wirtschaftsunternehmen geworden, das sich hinsichtlich Umsatz und Anzahl der hauptamtlich Beschäftigten mit großen mittelständischen Unternehmen messen kann. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Unternehmen anders geführt und beaufsichtigt werden muss als ein klassischer Verein.

Diese Erkenntnis hat sich mittlerweile auch durchgesetzt. Auch die Arbeiterwohlfahrt hat Vorgaben, die sicherstellen sollen, dass die Regeln guter Unternehmensführung eingehalten werden. Das Manko ist eher, dass es oftmals an Personen fehlt, die in der Lage sind, diese Regeln auch durchzusetzen und unternehmerisch kompetent zu handeln. Das hat etwas mit den Kriterien der Personalauswahl in solchen Vereinen zu tun und der Grundhaltung, mit der sich die Mitglieder des Vereines gegenseitig begegnen.

Das ist im Grunde positiv. Es gibt ein sehr großes Vertrauen in die Integrität der handelnden Personen. Viele sind davon überzeugt, dass Menschen, die sich der Hilfe für andere Menschen auch beruflich verschrieben haben, gegen moralische Anfeindungen gefeit seien. Dass Menschen Regeln verletzen und die Abwesenheit von Kontrolle zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen, ist oft außerhalb der Vorstellungswelt. Nun wissen wir aus der Kriminalprävention, dass der größte Fehler ist zu meinen: „Mir passiert das nicht.“ Daher ist es wichtig klarzumachen, dass diese Regelverletzungen auch in gemeinnützigen Unternehmen vorkommen können und die wichtigste Gegenmaßnahme der Aufbau eines wirksamen Kontrollsystems ist.

In Sozialverbänden herrscht generell ein gewisser Vorbehalt gegen betriebswirtschaftlich gesteuerte Unternehmensführung vor. In Gesprächen wird sehr häufig betont, dass es sich nicht um gewöhnliche Unternehmen handelt, da ein gemeinnütziges Unternehmen nicht nach Gewinn strebe. Das Gewinnstreben und die betriebswirtschaftlich kompetente Unternehmensführung werden dabei in eins gesetzt und die Notwendigkeit, auch ein gemeinnütziges Unternehmen betriebswirtschaftlich erfolgreich zu führen, als zumindest nicht so wichtig angesehen. Das führt dazu, dass die betriebswirtschaftliche Kompetenz der Führungspersonen bei der Auswahl nicht an erster Stelle steht. Im Gegenteil, oft schlägt erfahrenen Managern Misstrauen entgegen, da ihnen unterstellt wird, nur durch die als negativ empfundene Profitorientierung gesteuert zu sein und so die Ideen des Verbandes zu verraten.

Bei der Arbeiterwohlfahrt Frankfurt hat sich mittlerweile unter dem Druck der Ereignisse eine andere Sichtweise durchgesetzt. Kompetente Manager mit hoher betriebswirtschaftlicher Erfahrung, aber auch umfassender sozialer und ethischer Verantwortung steuern den Verband und leiten die notwendigen Umstrukturierungen ein. Diese beziehen sich auf die Durchsetzung von Regeln guter Unternehmensführung und Compliance auf allen Ebenen. Für die Mitarbeiter, die bisher gewohnt waren, dass die Personen an der Spitze einsame Entscheidungen trafen, eine Umstellung, die aber viele begrüßen, weil sie für die Mitarbeiter Klarheit und eine gute Orientierung für ihre Arbeit bieten.

Diese Veränderungen realisieren sich nicht von heute auf morgen, die AWO Frankfurt steht vor einem längeren Prozess der Veränderung. Dieser entspricht durchaus den Change Prozessen, die wir von Wirtschaftsunternehmen kennen. Es geht um die nachhaltige Verankerung der Regeln, eine Justierung der Ziele und deren Verankerung in der Organisation. Aber es ist die Mühe wert zu zeigen, dass die Arbeiterwohlfahrt ihren Zielen und ihrer Bestimmung treu bleiben und ein wirtschaftlich solider Anbieter wichtiger sozialer Leistungen sein kann.